Freitag, 27. März 2020
Die Fastenzeit als Quarantäne
Impuls von Pfarrer Josef Szuba über den Zusammenhang von Fastenzeit und Quarantäne
Im Lateinischen heißt die Fastenzeit „Quadragesima“. Das heißt übersetzt nichts anderes als „vierzig“ – eine symbolische Zahl. Die Sintflut währte vierzig Tage. Vierzig Jahre wanderte da Volk Israel durch die Wüste. Genauso viele Tage hat Mose vor dem Bundesschluss auf dem Berg Sinai verbracht. Auch die Wüstenwanderung des Propheten Elija dauerte vierzig Tage. Und schließlich hat Jesus vierzig Tage lang gefastet. In der Bibel bezeichnet die Zahl vierzig einen Zeitraum, der eine Wende und einen Neubeginn ermöglicht.
Quadragesima – von der gleichen Wurzel kommt das Wort Quarantäne. Im Mittelalter wurde in den oberitalienischen Häfen zur Abwehr der Pest eine Wartezeit von vierzig Tagen für einlaufende Schiffe eingeführt – aus Angst vor Ansteckung. Man orientierte sich bei diesem Zeitraum an der Länge der Fastenzeit. Aus Vorsicht oder zum Schutz müssen sich derzeit viele Menschen in Quarantäne begeben – selbst unsere Bundeskanzlerin. Aber auch das allgemeine Leben ist massiv eingeschränkt. Wir alle sind plötzlich auf uns zurückgeworfen.
Wer hätte am Anfang der Fastenzeit gedacht, dass wir uns in diesem Jahr nicht nur einschränken beim Essen und Trinken? Wir verzichten nicht nur auf ein Glas Wein oder ein paar Süßigkeiten. Wir müssen uns notgedrungen einschränken bei vielem, was sonst selbstverständlich ist. Ja, ein großes Fasten ist angebrochen: der Verzicht auf alltägliche Handgriffe und Abläufe, der Verzicht auf Konsum und Shopping, der Verzicht auf Veranstaltungen und geselliges Beisammensein, der Verzicht auf Begegnungen und Berührungen. Und für uns Gläubige: der Verzicht auf den Gottesdienst, auf das gemeinsame Gebet und den Empfang der heiligen Kommunion. Viele Menschen sind derzeit auf sich zurückgeworfen und leben wie in Quarantäne.
Die drastischen Einschnitte fordern uns heraus. So hart und schmerzhaft sie sind, steckt darin auch eine Chance. Der erzwungene Verzicht kann neue Freiräume schaffen. Wir können uns mehr Zeit nehmen zum Lesen und Nachdenken, zum persönlichen Gebet oder zur Lesen in der Heiligen Schrift. Wir spüren, wie kostbar das ist, was wir sonst so selbstverständlich nehmen, was manchmal in Routine (auch in religiöser Routine!) erstarrt. Es wird uns neu bewusst, wie wertvoll unser Beziehungsnetz ist. Gegen alle Beschleunigung und Hektik wird uns eine Art Wüstenzeit verordnet, die wir sinnvoll nutzen und gestalten können. Um aufmerksamer und wacher wahrzunehmen, was um uns herum geschieht, wo Menschen uns brauchen und auf Hilfe angewiesen sind. Die uns allen verordnete Quasi-Quarantäne bietet die Chance, offener, dankbarer wollen uns sensibler zu werden für das, was unser Leben wirklich trägt und erfüllt. Sie kann für uns, aber auch für unsere Gesellschaft eine Zeit des Innehaltens, der Wende und des Neubeginns sein.
Josef D. Szuba
Bild: Das MISEREOR-Hungertuch 2019/2020 „Mensch, wo bist du?“ von Uwe Appold © MISEREOR