Dienstag, 07. November 2017
Sozialdienst St. Michael: Teilhabe statt Animation
20 Bewohner leben in St. Michael, dem Caritas-Förderzentrum für an MS-erkrankte Menschen. Diese Menschen sind ganz verschieden: im Alter, in ihren Interessen, im Fortschreiten ihrer Krankheit und ihren Möglichkeiten der Teilhabe. Deshalb sind Maike Jens und Elisabeth Grimberg überzeugt, dass Gruppenangebote für diese Menschen nur sehr begrenzt Sinn machen. Die beiden Frauen vom Sozialdienst von St. Michael beschreiten daher ganz andere Wege.
Maike Jens ist seit Februar in St. Michael, ihre Kollegin, die wie sie Sozialpädagogin/Sozialarbeiterin ist, seit Mai. Nachdem sich beide zuerst umgeschaut, die Bewohner und die Strukturen des Hauses kennengelernt und beobachtet haben, welche Angebote sich bisher bewährt hatten und welche brach lagen, machten sie sich schnell ans konzeptionelle und praktische Arbeiten. Und das bedeutete ganz konkret: „Weg von den Gruppenangeboten hin zu mehr Einzelbetreuung“, bringt es Maike Jens auf einen kurzen Nenner.
„Als Sozialarbeiterinnen sehen wir unsere Aufgabe darin, Menschen zu befähigen, mit ihren vorhandenen Ressourcen möglichst selbstständig und selbstbestimmt zu leben“, fügt Kollegin Grimberg hinzu. Deshalb sind ihre Angebote „lebensnah und praktisch“ angelegt: „Unsere Bewohner wollen in die Stadt, ihren Personalausweis selbst beantragen, einkaufen, mit der Straßenbahn fahren und auch mal ganz normal zum Friseur gehen“, nennen sie Beispiele. Eine ältere Bewohnerin, die inzwischen körperlich sehr stark eingeschränkt ist, war früher eine leidenschaftliche Köchin und hat noch heute eine Vielzahl von Rezepten im Kopf. Mit ihr geht eine der beiden Frauen einkaufen; sie ist dabei, wenn andere Bewohner kochen, sie weiß, wann welcher Schritt wie erfolgen muss und ist so – auch wenn sie selbst kein Messer mehr führen kann – wichtiger Teil des Kochteams.
Dank einer kleinen Gruppe Ehrenamtlicher können die Bewohner von St. Michael an einem Tag in der Woche einen Ausflug unternehmen. „Wir könnten noch viel mehr Ehrenamtliche gebrauchen“, sagt Elisabeth Grimberg. Die Voraussetzung für eine ehrenamtliche Tätigkeit: „gesunde Hände und Füße, denn unsere Bewohner brauchen vor allem nette Begleitung und Menschen die sie in ihrer Mobilität unterstützen“. Der Zeitaufwand ist überschaubar und frei wählbar, der Inhalt abhängig von den eigenen Interessen.
„Wir machen es zusammen“ ist das grundlegende Motto der beiden Sozialarbeiterinnen, an Stelle wie früher: „Ich mache es für dich.“ Damit, ist Bereichsleiterin Mirja Miller überzeugt, sind die Frauen eine „ganz elementare Unterstützung im Lebensalltag.“ – „Die gute Pflege, die wir hier leisten, ist die Basis“, sagt sie, die Basis dafür, dass Grimberg und Jens sich um das Recht auf Teilhabe kümmern können. Für Miller gehört es „zum Menschsein dazu“, dass die Bewohner liebevoll gepflegt werden und auch „ausgehfein“ gemacht werden – und dass sie sich um ihr Leben so selbstbestimmt wie möglich selbst kümmern. „Wir wollen weg von Bespaßung und Animation und hin zu Teilhabe und Befähigung“, fördert sie. Dass die beiden Sozialpädagoginnen darüber hinaus mit den Bewohnern realistisch deren Ressourcen einschätzen und mit ihnen umgehen, ist ebenfalls wichtig.
Dieses Miteinander von Pflege und sozialem Arbeiten war für Maike Jens und Elisabeth Grimberg ausschlaggebend dafür, dass sie sich auf die Sozialdienststellen beworben haben. Elisabeth Grimberg kann darüber hinaus auch ihre eigenen Berufserfahrungen als gelernte Krankenschwester einbringen. Dass sie viel Spielraum haben und kreativ sein können, betrachten sie als weiteren Vorteil ihrer Arbeit. So haben sie etwa im Sommer begonnen, Gartenarbeit anzubieten, was besonders bei den männlichen Bewohnern gut ankam.
Nun starten sie ein Fotoprojekt. Denn St. Michael gehört zur Caritas-Fördereinrichtung St. Johannes und wird in dem Neubau, der zurzeit in der Kaiser-Wilhelm-Straße gebaut wird, einziehen. „Gemeinsam mit einer Fotografin wollen wir Fotos machen von unserer jetzigen Einrichtung. Die Bewohner können das fotografieren, was ihnen wichtig und wertvoll ist.“ Die Fotos sollen für sie eine Erinnerung sein – denn viele leben seit vielen Jahren in diesem Haus – und sie sollen auch für eine Ausstellung genutzt werden. „Für diese Ausstellung wird es eine große Vernissage geben, an der sich ebenfalls viele Bewohner beteiligen können: mit ihren Fotografien, ihren Ideen und ihren Kochfähigkeiten und Rezepten“, freuen sich Jens und Grimberg.
So wie sie sich auf das neue Haus in der Kaiser-Wilhelm-Straße freuen. Am Mittwoch, 08.11.2017, wird auf der Baustelle Richtfest gefeiert.